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Kalender 2019, Oktober – Wandel und Krisen

„Das einzig Beständige ist der Wandel“ sagte Heraklit von Ephesos um 500 vor Christus, und auch die berühmte Formel „Panta rhei“ („alles fließt“) wird, obgleich wahrscheinlich erst später entstanden, häufig diesem Philosophen zugeschrieben.
Jahrtausende später beschäftigen sich Psychologen, vor allem im Bereich der Entwicklungspsychologie, in systematischer Weise mit dem Thema des Wandels. Einige Psychologen versuchten, den mit der menschlichen Entwicklung einhergehenden Wandel anhand von Stufen oder Phasen zu beschreiben. Sigmund Freud (1856–1939) spricht in seinem Drei-Phasen-Modell der psychosexuellen Entwicklung von der oralen, der analen und der genitalen Phase, die von der frühen Kindheit bis zur Pubertät durchlaufen werden müssen. Kommt es zu Fehlentwicklungen oder Traumatisierungen in einer Phase, kann diese nicht erfolgreich abgeschlossen werden, was in der Folge zu Krisen und typischen Störungen führt.
Krisen in der menschlichen Lebensspanne sind auch das Thema des deutsch-amerikanischen Psychologen Erik H. Erikson (1902–1994). Er geht in seinem Stufenmodell von acht Stufen aus, die von der Geburt bis zum Tod eines Individuums reichen. Mit jeder Phase sind laut Erikson bestimmte Entwicklungsaufgaben verbunden, mit dazugehörigen Krisen, wenn die Bewältigung dieser Aufgaben nicht vollständig gelingt.
Da den Phasenmodellen häufig zu starke Verallgemeinerung vorgeworfen wird, versuchen sich andere Psychologen an individuelleren, handlungsnäheren Herangehensweisen. So entwickelte Sigrun-Heide Filipp das Konzept der „Kritischen Lebensereignisse“. Diese Ereignisse sind subjektiv belastende Lebensumstände oder Geschehnisse im Leben, die mit Verlust, Kränkung oder Bedrohung verbunden sind und oft dauerhafte Veränderungen der gewohnten Lebenssituation mit sich bringen, wie zum Beispiel Trennungen, Todesfälle, Krankheit oder Verlust des Arbeitsplatzes. Aber auch überwiegend als positiv erlebte Ereignisse wie ein Wohnortwechsel oder die Geburt eines Kindes können Krisen und die dazugehörigen Emotionen von Verunsicherung, Orientierungsverlust und Angst auslösen.
Das wohl bekannteste Krisenkonzept ist das der „Midlife Crisis“. Es geht auf den kanadischen Psychoanalytiker Elliott Jaques zurück, der 1965 die Biografien von Künstlern untersuchte und dabei auf spezielle Krisen des mittleren Lebensalters aufmerksam wurde. Typisch für die Midlife Crisis, die im Alter zwischen Mitte 40 und Mitte 50 bei Männern wie Frauen auftreten kann, ist eine Rückschau auf das bisherige Leben und die Frage, was jetzt noch kommen soll. Welche Träume habe ich verwirklicht, welche nicht? Welche Möglichkeiten habe ich noch? Die bevorstehende Lebenszeit erscheint nicht mehr unendlich. Zu einer erheblichen Sinnkrise kann die Midlife Crisis werden, wenn verpassten Chancen nachgetrauert und verzweifelt versucht wird, Versäumtes nachzuholen. Der grauhaarige Mann im Sportwagen mit der jungen Blondine an der Seite wird dann zum klischeehaften Zerrbild.
Gemeinsam ist allen Krisen im menschlichen Leben, dass sie, so belastend sie sich anfühlen mögen, auch als Chancen verstanden werden können. Denn sie weisen uns darauf hin, was nicht (mehr) stimmt in unserem Leben, und zeigen uns nicht selten den Weg zur nötigen und überfälligen Veränderung. Gelegentlich bedürfen solche Krisen allerdings der Begleitung von außen, um erfolgreich bewältigt werden zu können.

Quellen/Sources:

  • Originaltext aus dem Kalender 2014 / Original text from the Calendar 2014
  • Foto/Photo: © reichdernatur – Fotolia.com
  • Oerter, Montada (2008). Entwicklungspsychologie. 6. Auflage. Weinheim: Beltz.
  • Schäfer, S. (2012). Das Tal des Lebens. In: Zeit online, 15.Juni 2012, http://www.zeit.de/zeit-wissen/2012/04/Midlife-Crisis
  • Filipp, S. (2010). Kritische Lebensereignisse. 3.Auflage. Weinheim: Beltz.

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